Spremberg. Am 10. Juni 2022 schmückte die festliche Eleganz des Forster Rosengarten ein besonderes Thema: Die Kontakt- und Informationsstelle Selbsthilfe Spremberg feiert drei Jahrzehnte ihrer Arbeit. Neben Rückblicken, Würdigungen und einem abwechslungsreichen Programm gibt es jedoch auch Zukunftsthemen der Selbsthilfe zu besprechen.
Sprechen als wichtigen Prozess der Heilung
Sucht, chronische Erkrankungen, psychische Krisen – das Leben kann einen schnell aus der Bahn werfen. Selbsthilfegruppen bilden einen geschützten Rahmen für einen wichtigen Prozess der Heilung: das Sprechen. Betroffene tauschen sich aus, hören einander zu, besinnen sich, helfen einander, nehmen sich Zeit und lassen sich auf menschliche Beziehungen ein – in vielen Fällen eine wohltuende Erfahrung. Kerstin Nowka, Geschäftsführerin des Albert-Schweitzer-Familienwerks Brandenburg e.V., in dessen Trägerschaft sich die Selbsthilfe Spremberg seit 1996 befindet: „Als gemeinnütziger Träger von sozialen Hilfsangeboten möchten wir möglichst viele Menschen bei möglichst vielen Problemen unterstützen. Inzwischen bieten wir Gruppen zu einer großen Bandbreite von Themen – von den klassischen Süchten, Essstörungen und Depressionen bis hin zu spezielleren Angeboten für Eltern von Kindern mit Diabetes oder chronischen Schmerzen. Dabei ist der stereotype Stuhlkreis, den sich viele immer noch viele unter Selbsthilfe vorstellen, noch nie unser Konzept gewesen. Vielmehr treffen sich die Gruppen in ungezwungener Atmosphäre, machen Unternehmungen, tauschen sich aus und stärken sich den Rücken mit was auch immer sie gerade benötigen.“ Die KISS Spremberg, wie sie liebevoll in Kurzform genannt wird, unterstützt in ihrer Funktion die Gruppen bei ihrer Formierung und Organisation, stellt Räumlichkeiten zur Verfügung, betreut, berät und begleitet die ehrenamtlich Engagierten. Grundsätzlich ist jedes Thema für eine neue Gruppe willkommen – sobald es Betroffene gibt, die sich der Sache annehmen.
Zahl der Selbsthilfegruppen hat sich verdoppelt
Allein in den vergangenen 10 Jahren hat sich die Zahl der Selbsthilfegruppen im Landkreis Spree-Neiße verdoppelt. Anne Wartenberg, Leiterin der KISS Spremberg, führt die Entwicklung vor allem auf ein geändertes Bewusstsein für gesundheitliche Schieflagen zurück: „Heute ist es in der Gesellschaft anerkannt, dass Menschen Herausforderungen und Probleme haben, die sie nicht allein bewältigen können und wollen. Dennoch gibt es immer noch Altersgruppen und bestimmte Themen, die für die Selbsthilfe schwer zugänglich sind – auch wenn der Bedarf definitiv da wäre. Männer nach Krebserkrankungen sind hier ein Beispiel oder Frauen mit Suchterkrankungen. Hier müssen wir noch viel Aufklärungs- und Akzeptanzarbeit leisten.“ Aber auch strukturelle Verbesserungen stehen auf der Zukunftsagenda der Selbsthilfe Spremberg. Vielen Betroffenen im ländlichen Raum ist nicht möglich, eine der beiden Selbsthilfekontaktstellen aufzusuchen, da ihnen schlicht die Mobilität fehlt. Anne Wartenberg: „Hier wünschen wir uns mehr Rückendeckung von den politischen Entscheidungsträgern. Beispielsweise könnten niedrigschwelle Fahrdienste auch älteren oder schwerkranken Menschen abseits der Ballungsgebiete die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe ermöglichen.“
Über die Geschichte der Selbsthilfe im Landkreis Spree-Neiße
1992 beginnt die Pionierarbeit der Selbsthilfe im Landkreis Spree-Neiße. Damals ist Brigitte Huth (ehemalige Fretwurst) federführend im Gesundheitsamt, das zu der Zeit am Spreedamm 1 in Spremberg verortet ist. Sie arbeitet im Vorstand des Vereins „Arbeitskreis für Gesundheitsförderung Spree-Neiße e.V.“ und entwickelte später das Selbsthilfezentrum weiter. Unterstützung erhält sie von Dr. Uwe Wriedt, der damalige Amtsarzt und Dr. Frieder Weiße, der im Sozialamt Berlin arbeitet. Wie bei vielen Anfängen gilt auch für die Selbsthilfebewegung in Spremberg: Der Aufbau ist zäh und mühselig, obwohl es bereits seit den 80er Jahren Angebote zur Suchtselbsthilfe gibt – beispielsweise im Abstinenzlerheim Spremberg e.V., das der Neurologe Dr. Thormann bereits 1990 gründet. Bis 1995 entstehen neben den Angeboten für Alkoholerkrankungen auch Gesprächsrunden für Frauen nach dem Krebs, Multiple Sklerose, Selbsthilfe durch Musik für sehbehinderte Menschen, Diabetes und Eltern von Kindern mit körperlichen und seelischen Einschränkungen.
Die KISS Spremberg trägt seit 2012 ihren Namen und ist bis heute in Trägerschaft des Albert-Schweitzer-Familienwerks Brandenburg e.V. – ein 1996 gegründeter sozialer Verein mit Sitz in Spremberg. Seit Ende 2012 leitet Diplom-Sozialpädagogin Anne Wartenberg die Kontaktstelle.