Es ist eine unglaublich schwere Zeit für die sieben Mädchen und Jungen aus der Ukraine, die seit letztem Schuljahr das Lausitzer Haus des Lernens des Albert-Schweitzer-Familienwerks Brandenburg besuchen. In ihrer Heimat mussten sie die Gewalt des Krieges miterleben und plötzlich über Nacht in ein unbekanntes Land flüchten. Keiner von ihnen spricht deutsch und ihre Familien sind praktisch auf Unterstützung in allen Lebensbelangen angewiesen. Das hinterlässt Spuren. In der Schule fallen einige von ihnen durch aggressives, niedergeschlagenes oder apathisches Verhalten auf. Das Team des Albert-Schweitzer-Familienwerks konnten eine Kinderpsychologin gewinnen, die seit Kurzem drei Mal pro Woche fachkundige seelische Unterstützung anbietet.

Als Psychologin an einer Schule in der Ukraine gearbeitet

Oksana Chebanenko ist eine grundsympathische Frau mit lieben Augen und einem herzlichen Lachen. Montags, dienstags und freitags bietet sie im Lausitzer Haus des Lernens in Spremberg Gespräche für Flüchtlinge aus der Ukraine an. Ihre Tochter besucht  die erste Klasse der Grundschule. Sie selbst lebte bis zum Kriegsausbruch mit ihrer Familie in Charkow, wo sie unter anderem als Kinder- und Jugendpsychologin an Schulen gearbeitet hat. Bei ihren Beratungsgesprächen in der Schule steht ihr Monika Droese zur Seite, eine ehemalige Lehrerin, die Oksana Chebanenko ins Russische und dem Schulteam ins Deutsche übersetzt. Finanziert wird das freiwillige Gesprächsangebot über die Ukrainehilfe des Vereins mit finanzieller Unterstützung der Aktion Deutschland Hilft. Die Kinderpsychologin arbeitet ehrenamtlich. Es gehe nicht darum, Geld zu verdienen. Eine psychologische Beratung im werde nicht angeboten. Dass die Kinder aus der Ukraine unter  psychischen Stress stehen, könne zeige sich an ihrem Verhalten. Sie seien aggressiv, schlagen andere oder wollen nichts essen, leiden an Angstzuständen und Panikattacken, erklärt Oksana Chebanenko.

Gespräche für ukrainische Kinder und Eltern

Zu ihr kommen Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis 16 Jahren, hauptsächlich aber die Schülerinnen und Schüler im Lausitzer Haus des Lernens. . Es  Und auch mit ukrainischen Eltern spricht die 40-Jährige. Belasten würde die Erwachsenen vor allem die Unsicherheit. Sie wüssten nicht, wie es weitergeht. Eltern gehe es darum, über die Situation ihrer Kinder zu sprechen und sie zu verändern. Für Kinder sei es schwierig, ihre Ängste auszudrücken. Ein Problem sei zudem die Sprachbarriere. Sie könnten sich nicht einfach mit ihren deutschen Klassenkameraden und Lehrern unterhalten. Manche hätten Angst, in die Schule zu gehen. Es komme zu einer Schockstarre.
„Eines der Kinder kam zu mir und hat erzählt, dass es eine skurrile Figur in Form einer menschenähnlichen Gestalt sieht, die ihr während des Unterrichts in den Nacken atmet. Das ist einer der schwereren Fälle“, erzählt Oksana Chebanenko. „Sie brauchen jemanden, der ihnen zuhört, Erlebtes gemeinsam verarbeitet und ein Gefühl der Sicherheit in der Fremde gibt.“

Die ukrainische Psychologin Oksana Chebanenko (Mitte) bietet im Lausitzer Haus des Lernens Gespräche für geflüchtete Ukrainer an, damit sie die Schrecken des Krieges verarbeiten können. Chebanenko erklärte Kerstin Nowka (links), Geschäftsführerin des Albert-Schweitzer-Familienwerkes, und Übersetzerin Monika Droese ihre Arbeit.

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Die Schülerinnen und Schüler des Lausitzer Haus des Lernens hatten 2022 bereits mehrere Male Spenden für ukrainische Menschen gesammelt.

Hilfe für geflüchtete Menschen endet nicht an der Landesgrenze: Das Albert-Schweitzer-Familienwerks Brandenburg hat verschiedene Angebote geschaffen, um ukrainische Familien in ihrer neuen Lebensituation aufzufangen.

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Die Kinder und das Schulteam des Lausitzer Haus des Lernens haben schon bei Kriegsausbruch großen Anteil am Schicksal der Menschen in der Ukraine genommen. Mit Friedensbotschaften haben sich sich über das gesamte Jahr auf verschiedene Weise positioniert.

Atemtechniken helfen bei Aggression

Helfen würde es, wenn die Kinder eine Möglichkeit bekommen, ihre Ängste plastisch darzustellen und somit real sichtbar zu machen. Etwa geformt aus Knete oder gezeichnet auf Papier. Da kleine Kinder viel Fantasie hätten, bastelten oder malten sie beispielsweise einen Clown. Diesem werde das Beängstigende genommen, indem ein lachender Mund und lustige bunte Haare und Knöpfe angemalt werden, beschreibt die Psychologin das Vorgehen. Dadurch verschwindet die Angst nicht sofort. Mehrere Sitzungen seien erforderlich, entsprechend des persönlichen Belastungsempfinden des Einzelnen. Bei Aggression würden bestimmte Atemtechniken trainiert, um sich zu beruhigen. Zwei Kinder seien nach einem Monat bereits so weit, dass sie keine Gespräche mit der Psychologin mehr bräuchten.

Austausch mit Kollegen aus der Heimat

Ein unterstützendes Gespräch im Lausitzer Haus des Lernens dauert durchschnittlich 40 Minuten. Bislang habe sie immer helfen können. Bei  schweren Fällen, in denen Kinder etwa körperliche Gewalt erfahren haben, müssten medizinische Fachkräfte eingeschaltet werden, um gegebenenfalls medikamentös Linderung zu verschaffen. Mädchen und Jungen, auf die das zutrifft, habe Oksana Chebanenko in Spremberg noch nicht kennengelernt.
„Es hilft, mit Kindern und Eltern zu sprechen und ihnen das Gefühl zu vermiteln, dass sie hier in Deutschland in Sicherheit sind. Rational verstehen sie das, doch ehe es auch im emotionalen Erleben ankommt, braucht es mehrere Gespräche“, erklärt Oksana Chebanenko.
Sie selbst habe erlebt, wie ihr Zuhause bombardiert wurde und hat mit ihrer Tochter Schutz in einem Keller gesucht. Belasten sie die Erinnerungen nicht und wie wird sie damit fertig? Sie habe selbst auch eine Psychologin, mit der sie sich online austauscht, erklärt die Ukrainiern. Anders gehe es nicht. Denn wenn sich ein Kind öffne, sehe Chebanenko die ganze Brutalität der Erlebnisse. Das gehe auch ihr nahe.

Schulpsychologische Betreuung sind an ukrainischen Schulen Standard

In der Ukraine gibt es an jeder Schule und auch in Kindergärten. In Deutschland ist das anders. Die Psychologen an den ukrainischen Bildungseinrichtungen werden vom Staat bezahlt und sollen mögliche Probleme frühzeitig erkennen. Sie arbeiteten eng mit Lehrkräften zusammen, etwa beim Verdacht auf häusliche Gewalt. Außerdem leiten Schulpsychologen den Sexualkunde-Unterricht und klären Jugendliche zu Themen wie Rauchen, Alkohol und Gewalt auf. Auch Lehrer können sich mit ihren persönlichen Sorgen an sie wenden. Früher hat Oksana Chebanenko mit den Schülern über Pubertät, Mobbing oder Schwierigkeiten nach einem Schulwechsel gesprochen. Bei ihren Gesprächsangeboten in Spremberg geht es um ganz andere Themen. Zur Vorbereitung habe sie online Kurse vom Kollegium der Psychologen in der Ukraine absolviert. Mit ihren Kollegen in der Heimat stehe sie weiter in Kontakt. In Spremberg ist schulpsychologische Beratung ein Novum und ein besonderes Angebot des gemeinnützigen Vereins.
„Wir haben von Anfang an gesagt: Unsere Hilfe für geflüchtete Menschen darf nicht an der Landesgrenze enden. Als Träger sind wir stets in Gesprächen mit den ukrainischen Familien, um sie aktiv und zeitnah in unseren lokalen Unterstützungsangebote einzubinden. Wo etwas fehlt, wie zum Beispiel psychische Unterstützung an unserer Schule, setzen wir alles daran, neue Hilfen zu organisieren. Wir sind Frau Chebanenko und Frau Droese von Herzen dankbar für ihren bereitwilligen Einsatz.“
Mehr zur Ukrainehilfe des Albert Schweitzer Familienwerks Brandenburg: Ukrainehilfe – Albert-Schweitzer-Kinderdörfer und Familienwerke Brandenburg e. V. (asf-brandenburg.de)

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