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Spremberg. Im Offenen Jugendtreff Spremberg des Albert-Schweitzer-Familienwerks Brandenburg ist die Luft fast sichtbar elektrisch aufgeladen: Linus Walter und Jannik Liebl, zwei hochgewachsene junge Männer in Hemd und Pullunder, stehen am Kopf des stuckverzierten, hohen Altbauraums inmitten einer Kindertraube aus 26 Fünftklässlerinnen und -klässlern des Erwin-Strittmatter-Gymnasiums. Zwischen Tischkickern und Dartscheibe werfen sich die Schülerinnen und Schüler quiekend ping-pong-artig Begriffe zu; reagiert jemand nicht schnell genug, muss er den Stehkreis verlassen, der sich damit minütlich enger um die zwei Anweiser in der Mitte schnallt. Gewonnen hat der vermeintlich Schnellste und Beste – und steht am Ende allein da, ohne Kreis.
Cybermobbing im Leben von jungen Menschen omnipräsent
„Das ist ein Spiel, um Gruppendynamiken spürbar zu machen“, ruft Linus Walter mit fester Stimme durch den Tumult um ihn herum hindurch. Der 19-Jährige ist Gründer des Zentrums für soziale Innovation. Der gemeinnützige Verein mit Sitz in Oldenburg bietet bundesweit Workshops gegen Cybermobbing an – ehrenamtlich. Unterstützt wird er an diesem Mittwoch von Jannick Liebl, 23 Jahre alt und Student des International Business an der Fachhochschule Pforzheim. Das Schlechtreden im WhatsApp-Klassenchat, heimliches Filmen in der Sportumkleide oder das ungefragte Nacktfoto eines Unbekannten bei Instagram: Cybermobbing ist überall möglich, wo sich junge Menschen digital bewegen. Im Workshop lernen sie Gefahrensituationen zu erkennen, erarbeiten für sie passende Schutzmaßnahmen und trainieren mit Rollenspielen wichtige Soft Skills wie: Wie reagiere ich auf Beleidigungen? Wie empfindet mein Gegenüber, wenn ich mich abwertend im Netz verhalte? Die Inhalte wurden von Lehramtsstudierenden im engen Austausch mit dem Zentrum für soziale Innovation erarbeitet und sind angelehnt an die Empfehlungen der Landeszentrale für politische Bildung.
In Extremfällen müssten die beiden Referenten schon einmal eine Klassenvereinbarung gegen ausgrenzendes Verhalten aufsetzen und diese von allen Teilnehmern am Ende des Workshops unterzeichnen lassen. „Das war im Lausitzer Haus des Lernens und Erwin-Strittmatter-Gymnasium nicht notwendig. Die Klassen funktionieren harmonisch“, sagt Linus Walter. Die Kinder seien vergleichsweise behütet, kaum einer wäre bisher mit Cybermobbing konfrontiert gewesen und nur drei Kinder besäßen in dieser Jahrgangsstufe bereits ein eigenes Endgerät.
Eltern wünschen sich konkrete Handlungsanweisungen
Vielmehr verfolge die Pilotierung des Workshops gegen Cybermobbing daher ein präventives Ziel, hakt Ronny Noack ein, Schulsozialarbeiter des Albert-Schweitzer-Familienwerks Brandenburg, der den Workshop für die zwei Spremberger Schulen organisiert hat. Flankiert werden die Workshoptage von Elternversammlungen am Abend. Er habe gemerkt, dass vor allem auch die Erziehungspersonen Gesprächsbedarf zu den Gefahren im Netz haben:
„Wir beobachten, dass sich Eltern konkrete Handlungsanweisungen wünschen. Sie sind unsicher und möchten wissen, ab welchem Alter ein Kind selbständig surfen kann oder wie lange es täglich mit dem Smartphone verbringen sollte. Auch der Austauschbedarf mit anderen Eltern ist groß.“
„Kinder können nicht nur auf dem Schulhof verprügelt werden“
Die gewünschten Tipps haben Linus Walter und Jannik Liebl parat, auch wenn man den Umgang mit dem Internet nicht pauschalisieren könnte. Wichtig sei grundsätzlich, den Entwicklungsstand des Kindes zu berücksichtigen sowie die persönliche Reife, wenn es um den richtigen Zeitpunkt für eigenständiges Surfen geht. „Das digitale Leben findet statt und Menschen bauen heutzutage schon in jungen Jahren eine Online-Identität auf – die ebenso verletzlich ist wie die abseits des Internets. Das sollten Eltern zunächst einmal anerkennen“, sagt Linus Walter. „Denn Kinder können nicht nur auf dem Schulhof verprügelt werden!“ Der Schlüssel für sicheres digitales Aufwachsen liege in der sicheren Beziehung mit den Erziehungspersonen. Eltern sollten ehrliches Interesse zeigen an den Online-Aktivitäten des Kindes, nachfragen und sich dem Thema öffnen.
„Das Schädlichste, was sie machen können, ist es, die Probleme des Kindes in sozialen Netzwerken oder Chats zu belächeln oder abzutun“, so Jannik Liebl. Mindestens genauso wichtig: Nicht überkontrollieren. „Das Kind entzieht sich sonst. Chatverläufe dürfen privat sein und bleiben – man kann nicht alles regulieren! Viel wichtiger ist, seinem Kind das Gefühl zu vermitteln, immer ansprechbar zu sein, wenn es in Situationen im Internet gerät, in denen es sich unwohl fühlt.“
Projekt finanziert sich über Bundesprogramm „Demokratie leben!“
Am Ende des Tages tragen die Kinder Maßnahmen zusammen, um sich gegen Cybermobbing zu wehren. Auf dem Whiteboard steht ein Potpourri an guten Ideen: Nummer gegen Kummer wählen, eine Lehrkraft des Vertrauens ansprechen, ebenso wie Eltern, Freunde oder den Schulsozialarbeiter in die kritisch empfundene Situation einweihen, Klassenregeln des friedlichen Miteinander vereinbaren und durchsetzen oder sich in schwerwiegenden Fällen an die Polizei wenden. Die Kinder wirken nach acht Stunden nicht müde, sondern weiterhin angeknipst bis redselig. Für Ronny Noack war der Tag ein Erfolg: „Finanzieren konnten wir die Workshops dankenswerterweise über das Bundesprogramm ‚Demokratie leben!‘ der Stadt Spremberg. Wir würden uns freuen, den Workshop ab sofort jedes Jahr anbieten zu können. Und am besten auch auf die Jahrgänge der siebten Klassen ausweiten. Hier ist Cybermobbing nämlich erfahrungsgemäß leider schon deutlich präsenter im Alltag.“
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